Am 22.01.2023 hat sich nach langer Zeit der Inaktivität die AG Politik zusammengefunden. Neben einigen Mitgliedern der AG waren auch Lorena und Chiara aus dem Vorstand dabei. Die Stimmung war anfangs vorsichtig interessiert, da keiner wusste, wie genau der Abend ablaufen würde. Am Ende war es dann aber eine gute und produktive Diskussion, in die alle Teilnehmer eingebunden waren.
Thema: Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
Den Auftakt zum GKV-FinStG, das zum Jahresanfang in Kraft trat, als Thema der ersten AG-Sitzung bildete ein Impulsvortrag von Sven Morgenstern, Vorstandsbeauftragter für Gesundheitspolitik bei Hashtag Gesundheit e. V., in welchem er die zentralen Inhalte des Gesetzes vorstellte:
Erhöhter Steuerzuschuss für 2023
Höherer Abschläge für pharmazeutische Hersteller und Apotheken zu Lasten der Arzneimittelpreisbildung für die gesetzlichen Krankenkassen
AMNOG-Reform, sodass für neue Arzneimittel der mit den Krankenkassen verhandelte Arzneimittelpreis 50 % früher gilt als bisher
Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel
Verringerung der Liquiditätsreserven der gesetzlichen Krankenkassen
Dabei legte Sven u. a. einen Fokus auf die Auswirkungen des GKV-FinStG für die Apotheken in Deutschland.
Diskussionspunkt #1: Zeithorizont der Politiken
Nach dem Kurzvortrag erfolgte eine angeregte Diskussion rund um die Gesetzesinhalte. So wurde bspw. angemerkt, dass durch einen einmalig erhöhten Zuschuss aus Steuermitteln zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung keine nachhaltige, generationengerechte Finanzierung ab 2024 sichergestellt sei. Auch das Abschmelzen der Finanzreserven der GKV wurde von mehreren Diskussionsteilnehmenden als schwierig beschrieben, da dies lediglich eine einmalige Maßnahme und folglich eine eher kurzfristig wirksame Lösung darstelle. Vor dem Hintergrund des im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung festgeschriebenen Ziels, den Pharmaindustriestandort Europa und insbesondere Deutschland zu stärken, wurden die Verschärfungen des AMNOG-Gesetzes und der in die Arzneimittelpreisbildung einfließende Herstellerabschlag kritisiert. Mit Betonung der seit Jahren stattfindenden Schließung von öffentlichen Apotheken wurde die Mehrbelastung durch den erhöhten Apothekenabschlag von einem weiteren Teilnehmer sehr kritisch kommentiert. Auch dass die Vergütungsstruktur weiterhin unverändert bleibt, würde die langfristige Versorgungslage mit Arzneimitteln erschweren, besonders in strukturschwachen Regionen.
Diskussionspunkt #2: GKV-Ausgaben für Arzneimittel
Im Verlauf der Diskussion thematisierten die AG-Mitglieder außerdem die GKV-Ausgaben, insbesondere die Ausgabenentwicklung für Arzneimittel in den vergangenen Jahren. Es wurde festgestellt, dass die Ausgaben der GKV für Arzneimittel von 2011 bis 2021 konstant bei 16 % lagen (vgl. vfa, 2019; Verband der Ersatzkassen, 2023).
Ein Vergleich der internationalen Ausgaben für Arzneimittel zeigte Deutschland ebenfalls im Mittelfeld, wobei nach Angaben der OECD sogar nur 13,7 % der Gesundheitsausgaben für Arzneimittel ausgegeben wurden (vgl. OECD, 2022). Länder wie Norwegen und Schweden, welche derzeit kaum von den Europa betreffenden Lieferengpässen heimgesucht werden, geben dagegen nur einen einstelligen Betrag ihrer Gesundheitsausgaben für Arzneimittel aus. Kritisch hinterfragt wurde darauf bezugnehmend, warum das GKV-FinStG insbesondere die Bereiche Pharmaindustrie und Arzneimittel fokussiert, wenngleich immerhin 30 % bzw. 16 % der GKV-Ausgaben auf die Krankenhausbehandlung bzw. ärztliche Versorgung entfallen – diese Bereiche wurden vergleichsweise weniger durch das Gesetz berührt. Ein möglicher Grund für den besonderen Fokus wurden die in absoluten Zahlen jährlich steigenden Ausgaben für Arzneimittel, insbesondere in den Gruppen Antikörper, Biologicals und Zytostatika genannt, mit denen die pharmazeutische Industrie hauptsächlich Gewinne erzielt. Der Belastung der Apotheken für die Jahre 2023 und 2024 wurden die außerordentlichen Gewinne durch die Erstellung von Impfzertifikaten 2021 und 2022 gegenübergestellt, sowie die beginnende Einführung der pharmazeutischen Dienstleistungen. Dass der Ausgabensektor “Krankenhaus” im GKV-FinStG weitestgehend ausgeklammert ist, wurde mit der kommenden Krankenhausreform begründet, welche die ambulante und stationäre Versorgung und die entsprechenden Vergütungen neu regeln soll. Da sich ein Großteil der Kliniken in einer besonders angespannten finanziellen Situation befindet, wurde vermutlich auch deshalb eine weitere Belastung, die die Versorgungssicherheit weiter gefährdet hätte, vermieden (vgl. DKG, 2022).
Diskussionspunkt #3: Patentschutz
Abgeschlossen wurde die Debatte mit einer Diskussion zum Thema Patentschutz für Arzneimittel. Dabei wurden die zunehmenden Ausgaben für Forschung und Entwicklung, der sich verschärfende Wettbewerb neuer, innovativer Arzneimittel mit bereits etablierten Therapieverfahren und der Nutzen von Schrittinnovationen zur Sicherstellung einer modernen Gesundheitsversorgung diskutiert. Konkret ging es dabei um wirtschaftliche Anreizsysteme für die Privatwirtschaft, wo staatliche Forschung zu langsam und unterfinanziert ist, sowie das Ergebnis vieler kleiner Verbesserungen über einen längeren Zeitraum (vgl. vfa, 2022).
Die erste Sitzung der AG Politik war ein voller Erfolg: Die Mitglieder konnten zentrale Inhalte des GKV-FinStG kennenlernen und es wurde lebendig und z. T. kontrovers diskutiert.
Das nächste Treffen der AG Politik findet am Sonntag, den 26. Februar 2023 um 19:00 Uhr statt. Im Fokus steht dabei das Thema „Cannabis-Legalisierung“. Gerrit Köster, Apotheker und Referent für Medizinalcannabis, wird uns einen Einblick in die aktuelle Gesetzeslage geben und gemeinsam mit uns über die Auswirkungen einer Legalisierung für Patient*innen und den Gesundheitsmarkt diskutieren. Eine Teilnahme an der Sitzung ist für alle Mitglieder von Hashtag Gesundheit e. V. möglich. Wir freuen uns auf euch!
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Quellen:
DKG - Deutsche Krankenhaus Gesellschaft. (2022). Krankenhaus-Insolvenzwelle rollt an. https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/krankenhaus-insolvenzwelle-rollt-an/
OECD. (2022). Arzneimittel-Ausgaben im internationalen Vergleich. Zitiert nach vfa.de. https://www.vfa.de/static/iframes/134664
Verband der Ersatzkassen. (2023). Daten zum Gesundheitswesen: Arzneimittel. https://www.vdek.com/presse/daten/d_ausgaben_arzneimittel.html
vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen. (2019). Diagramm zu Arzneimittel-Ausgaben in Deutschland. https://www.vfa.de/de/presse/grafik-arzneimittelausgaben.html
vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen. (2022). Schrittinnovationen als Basis von Therapiefortschritten. https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/amnog/schrittinnovationen-sind-ein-motor-des-medizinischen-fortschritts
Über den Autor:
Sven ist 28 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Leipzig. In Kiel hat er Pharmazie und Drug Research & Technology studiert und momentan arbeitet Sven als Apotheker in Köln. Er ist stark (gesundheits-)politisch interessiert und setzt sich dabei für ein effizientes, digitales und v. a. evidenzbasiertes Gesundheitswesen ein.
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